- Auszug
In seinem Buch The Living State erklärt Szent-Györgyi: „In der Zeit, als ich in Ungarn Ascorbinsäure isolierte, wurde ein Patient mit großflächiger subkutaner Blutung in der medizinischen Abteilung meiner Universität aufgenommen. Da eine solche Blutung ein klassisches Skorbut-Symptom ist, wurde auf Rat von Professor St. Rusznyak mein unreines Präparat von Ascorbinsäure dem Patienten injiziert, woraufhin die Blutung aufhörte. Nachdem ich Ascorbinsäure kristallisiert hatte, wurde ein anderer Patient mit den gleichen Beschwerden mit dem reinen Vitamin C behandelt. Es zeigte keine Wirkung. Mir schwante, dass die Wirkung im ersten Patienten möglicherweise auf die Flavone zurückzuführen war, die als Verunreinigung vorkamen. Deshalb wurden später verschiedene ähnliche Fälle mit Flavonen behandelt, mit ausgezeichneten Ergebnissen. Es schien möglich, dass die Flavone ebenfalls Vitamine waren. Ich war mir dessen nicht sicher, so nannte ich sie versuchsweise‚Vitamin P‘.”
Masquelier begegnete dem faszinierenden Szent-Györgyi mehrmals und hatte Gelegenheit, über seine Arbeit mit ihm zu sprechen. 1947 traf Masquelier Szent- Györgyi in Oxford beim ersten internationalen Physiologiekongress, der nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand. Am 12. April 1961 trafen die beiden sich auch in Bordeaux, wo Szent-Györgyi einen Ehrendoktortitel verliehen bekam. Masqueliers ungarischer Kollege zeigte großes Interesse an der Arbeit seines französischen Kollegen, weil OPCs immer taten, was Citrin nur manchmal tat: die Kapillarresistenz erhöhen und die Kapillarpermeabilität regulieren. 14 Jahre nach der Entdeckung von OPCs sagte Szent-Györgyi, der Masquelier in dessen Labor in Bordeaux besuchte: „Aber Herr Masquelier, interessieren Sie sich immer noch für dieses Thema? Wissen Sie nicht, dass in den USA kein Mensch mehr an die Wirkungen von Bioflavonoiden (Citrin) glaubt?” Offensichtlich hatte sich auch der Mann, der ja den Begriff Vitamin P geprägt hatte, von dieser Fährte abgewandt. Das ungelöste Rätsel um dieses Vitamin ließ in Szent-Györgyi ein Gefühl des Bedauerns zurück. Scherzhaft äußerte er sich über seine Entdeckungen: „Es ist unglaublich. Man hat mich zum Vater von Vitamin C gemacht, der ich gar nicht war, und sich geweigert, mich als den Vater des Vitamin P anzuerkennen, der ich in Wirklichkeit war.“
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Bioflavonoide sind komplexe Pflanzennährstoffe, was bedeutet, dass nicht alle bioflavonoiden Verbindungen in ihrem Aufbau identisch sind. Manchmal wirken sie, manchmal nicht. Einige wirken besser als andere. Schließlich entschied 1950 das Internationale Vitamin-Komitee, den Begriff Vitamin P völlig aufzugeben. Doch Szent-Györgyi akzeptierte diese Entscheidung nie. Er wusste, dass die Menschen die Mangelkrankheit Skorbut am besten durch die kombinierte Einnahme der Vitamine C und P verhindern und überwinden konnten. Szent-Györgyi bedauerte zutiefst, dass er niemals den Finger auf das tatsächliche Vitamin P hatte legen können. Hätte er sich außerhalb des Reichs der gelben Bioflavonoide umgesehen, so hätte er das finden können, was Masquelier fand: OPCs. Für den Fortschritt der Ernährungswissenschaft war es ein Unglück, dass Vitamin P mit den gelben Bioflavonoiden gleichgesetzt wurde, und aus genau diesem Grund ging seine wissenschaftliche Bedeutung verloren. Bis zum heutigen Tag trüben die Falten, die durch das Verschwinden von Vitamin P verursacht wurden, die Arbeit derjenigen, die das echte Vitamin P zu bestimmen versuchen. Diese Aufgabe trieb Masquelier sein Leben lang um. Und es treibt mich um, seit ich Masquelier kennen lernte.